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Simone und Judith sind mitten in ihrem härtesten Rennen: Dem Crossing Switzerland. In Teil 1 haben wir schon so einige Abenteuer gelesen. Wie es für die Beiden weiter geht und ob sie das Ziel erreichen, erfahrt ihr im zweiten Teil.

Die Nacht kam. Sie war wieder nass, steil und kalt. Die Füße von Simone schmerzten sehr. Jeder Schritt tat weh. Sicherlich Blasen ohne Ende. Dass es noch schlimmer war, sah sie erst, als sie kurz vor Mitternacht in Trübsee ankamen. Hier musste definitiv auch etwas geschlafen werden.

Raus aus den nassen Klamotten, rein in die Dusche und trockene Sachen an den Körper. Zum Essen gab es Rösti mit Käse und Spiegelei. Simones Füße waren durch den Regen doppelt so dick angeschwollen und übersät mit Blasen. Ab zur Medical Crew und versorgen lassen. Danach ging es für gute 3h ins Bett. Ein richtiges Bett im Stockbettlager. Das tat wirklich gut.

 

Früh um 2 Uhr machten sie sich wieder auf den Weg. Der Regen ließ mittlerweile nach. Die nächste Lifebase lag 76km und 5700 Höhenmeter entfernt in Lauterbrunnen. Es ging wieder einmal über einen Grat am Horizont und hinüber ins nächste Tal. Die Sonne ging auf. Es waren überall kleine Seen zu sehen, eingebettet in sattgrüne Wiesenhügel. Der Nebel lag an der Oberfläche und die ersten Angler standen am Ufer. Die Kühe lagen majestätisch im Gras und schauten verdutzt, was da an ihnen vorbei rannte. Eine völlig andere Welt. So still und leise.

An der VP in Meiringen wurde nochmal richtig rein geschaufelt. Das Angebot war riesig. Müsli, Rührei mit Speck, Kaffee, Obst, Kekse, Brot, verschiedene Aufstriche. Schließlich hatten die beiden 2 x 2000 Höhenmeter Anstiege vor sich.

Es ging Richtung Grindelwald. Da, wo sie letztes Jahr schon waren. Sie waren gespannt, ob ihnen einige Abschnitte bekannt vorkommen würden. So war es dann auch. Mit Blick auf den Eiger hatten sie tatsächlich eine lange Strecke auf der Eiger250 Route zurückgelegt. Irgendwie sah es im Dunkeln völlig anders aus. Wo kommt plötzlich der Fluss her? Und warum haben sie sich  an der Großen Scheidegg so dermaßen verlaufen? Der Weg war ja völlig klar. Im Hellen ist natürlich einiges klarer als nachts und im Nebel.

In Grindelwald wollten beide Schlafpause machen. Sie waren seit 16h nonstop unterwegs.

Leider war die VP nur ein bretterverschlagener Stadel, wo an Hinlegen nicht zu denken war. Also beschlossen sie, nach einer Extraportion Pancakes, trotz der Tatsache, dass die nächste Etappe einer der heftigsten sein wird, durch die Nacht zu laufen.

Im Nachhinein das Beste, was sie machen konnten. Der Anstieg war sehr steil, teils am Seil, noch steiler war der Abgrund, ungesichert. Im Hellen wäre das für Judith mit Höhenangst sicher eine große Herausforderung gewesen. Im Dunkeln sah man Gott sei Dank nur das, was der Lichtkegel der Stirnlampe erfasste.

Es ging nach oben Richtung Eiger Gletscher. Geröll, Schneefelder, das permanente Rauschen der Gletscherbäche, die sie dutzendweise durchqueren mussten. Es war völlige Konzentration gefragt. Irgendwann kam ihnen ein anderer Läufer entgegen (!). Früh um 2 Uhr, unterhalb vom Gletscher. Also es gab wohl noch mehr Verrückte hier außer ihnen. Kurze Zeit später sahen sie ein Streckenschild „Eiger Ultratrail 101“, was auf die Originalroute vom Eiger Ultratrail hinwies.

Der Downhill, welcher anders markiert war, als der GPX-Track, entpuppte sich als eine Rutschpartie im losen Geröll und anschließend über Weiden und zig Serpentinen durch den Ort um irgendwann im Morgengrauen in Lauterbrunnen anzukommen. So standen sie früh um 3.30 Uhr irgendwo an einem Bahnhof am Berg. Es kamen noch zwei Läufer dazu. Da saßen sie nun, und scherzten, dass wohl hier kein Zug fahre und eigentlich tote Hose ist und man wohl doch weiter müsse. Dafür wartete eine Dusche, Pasta und wieder eine unbequeme Turnhalle auf sie.

Mittlerweile sah man es den beiden an, der Zerfall begann. Die Laufzeit, Kilometer und Höhenmeter, aber vor allem der Schlafentzug zehrten an ihnen. Das hatte nichts mehr mit Wellness und ein bisschen durch die Berge rennen und wandern zu tun. Es waren mittlerweile 90h, gute 18.000 Höhenmeter und über 230 Kilometer, die hinter ihnen lagen. 

In 70km und 6800 Höhenmeter sollten sie die nächste Lifebase in Lenk erreichen. Es ging weiter bei 30 Grad Sonne satt. Hindurch durch Mürren, wo plötzlich so viele Menschen waren, dass ihnen fast schwindelig wurde. Kurze Zeit später standen die beiden wieder alleine inmitten ihrer Kühe auf den Weiden und kämpften sich Meter für Meter nach oben.

Gras, Geröll, Schnee. Bis zur Sefinenfurgge – “die Treppen“, eine steile Passage durch Geröll am Seil, ließen Judiths Puls steigen. Sie konnte ihre Höhenangst schon so oft besiegen, doch im dichten Nebel nahm der Alptraum Gestalt an. Hinzu kam, dass auf der anderen Seite ein frischer Erdrutsch den Abstieg verändert hatte. Einige Stufen wurden ebenfalls weggerissen. Doch gemeinsam im Entenmarsch meisterten die zwei diese Stelle unverletzt.

Motivationstiefs kamen immer häufiger, die Frage nach dem Warum sie das machen und dass sie keine Lust mehr haben, warum sie die Berge immer so toll fanden und überhaupt diese ganze Rennerei. Es wurde Zeit, dass sie bei der nächsten VP etwas Ruhe kriegen. Angekommen auf der Bundalp gönnten sie sich nicht nur warmes Essen, sondern teilten sich auch eine uralte 50cm breite Couch, um kurz zu ruhen.

Simones entzündeter Mund und Gaumen schmerzte mittlerweile höllisch. Seit zwei Tagen war alles offen und angeschwollen. Im Nachhinein wurde eine schwere Herpesinfektion diagnostiziert. Als wäre der Trip nicht auch ohne das schwer genug.

Mit Einbruch der Dunkelheit ging es weiter Richtung Kandersteg. Es sollte die schlimmste Nacht der ganzen Tour werden. Der Aufstieg war wieder einmal sehr steil, durch zig Weidezäune, welche mittlerweile keiner mehr sehen konnte, geschweige denn leicht öffnen oder schließen konnte. Durch Felsen und noch mehr Geröll. Ein netter Mitstreiter hat Judith zwischenzeitlich einen Trailrunningstock geliehen, sodass der zweckentfremdete Weidezaunpfahl ausgedient hatte.

Leki links, Black Diamond rechts ging’s aufwärts. Am Horizont sah man das Ende der Berge. Irgendwo dort musste es durchgehen. Stunden über Stunden schauten sie sich diese Linie an und sie kam nur sehr, sehr langsam näher. Irgendwann waren sie oben. Es dämmerte und der Downhill stand an. Dass dieser noch anstrengender werden würde als der Aufstieg, konnte keiner ahnen.

 

Mittlerweile bewegte sich alles. Der Boden, die Beine waren wie Wackelpudding, ihnen war schwindelig vor Müdigkeit und Erschöpfung. Sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Essen kam überhaupt nicht mehr an, wo es gebraucht wurde.

Kandersteg war schon in Sicht. Keiner der Beiden sprach noch irgendein Wort. Jeder war beschäftigt sich irgendwie auf den Beinen und bei Laune zu halten und mit den Stöcken einigermaßen die Balance zu halten. Kopf aus und rechts, links, rechts, links… Das Ortsschild war zu sehen, weiter ging es am Fluss entlang ortseinwärts.

Sie erreichten die Halle, das Buffet ließen sie links liegen und steuerten schwankend auf den Hallenboden zu. Eine halb aufgepumpte Luftmatratze sollte ihr Schlafplatz sein. Dort fielen sie wie Fliegen um, gerade mal, dass sie den Rucksack abnahmen, alles andere blieb so wie sie ankamen.

Drei Stunden später erwachten sie, völlig erschöpft und den Tränen nahe. Der ständige Kampf gegen den Schlafentzug hatte ihre Kräfte aufgebraucht. Beide wussten, dass das DNF (Did Not Finish) nur einen Wimpernschlag entfernt war. Sollte es hier enden? Keine sprach es aus, jede kämpfte innerlich mit sich selbst. „Lass uns erstmal was essen, dann sehen wir weiter“, war das Mantra. Und so taten sie es.

Tatsächlich ließ es sich besser denken, mit etwas Energie im Magen. Sie überdachten ihre Renntaktik, wägten Zeiten und Kilometer ab. Auch dass die Etappen zwischen den Lifebases immer länger dauerten. Das war normal!!! Viele der Läufer waren plötzlich nicht mehr da. Die meisten kämpften mit sich genauso wie unser Duo.

Also weiter!!!!

Dass nicht allzu viel mehr als Wandern drin war, war ihnen mehr als bewusst. Und auch das musste erst einmal geschafft werden. Bei wieder sehr heißem Wetter ging es weiter. Wieder durch unzählig schöne Weiden, Geröll und Felsformationen. Mit langsameren Tempo, vielen Riegeln und tollen Fotostops kam die Motivation wieder und auch die Lebensgeister.

Raclette-Käsebrot mit Silberzwiebeln – Simones Leibgericht an der nächsten VP. Ebenfalls ein erholsamer Drei-Stunden-Schlaf auf weichen Matratzen im Umkleideraum. Optisch sahen die Beiden zwar wieder nicht erholt aus, sondern glichen eher dem Zombielook zu Halloween, aber körperlich fühlte es sich besser an.

Die nächste Nacht stand an. Es war 1.30 Uhr und die nächste Lifebase war mit 30km und übersichtlichen 1550 Höhenmeter noch vor Sonnenaufgang erreicht.

Leider waren die  Dropbags nicht mehr da. Sie waren aus irgendwelchen Gründen schon auf dem Weg ins Ziel. Nach langem Hin und Her haben sich Simone und Judith entschieden, das Angebot der Verantwortlichen anzunehmen und diese hierher zu beordern. Es ist tatsächlich jemand nach Montreux gefahren und hat die zwei Dropbags gesucht und nach Lenk zurückgebracht. Die drei Stunden Dauer haben die Zwei mit Schlafen in geborgten Schlafsäcken und im Stuff-Bettenlager verbracht. Die Geste mit den Schlafsäcken und dem Bettenlager war sehr, sehr nett und für unser Team sehr erholsam.

Reis und Bohnen -für Simone mit gebratenem Hähnchenfleisch- waren ebenfalls ein Festmahl. Nach über 40 Stunden endlich zu duschen und in frische Klamotten zu schlüpfen, war fast wie ein Wellnesswochenende. Das motivierte für die nächsten Kilometer.

12 Stunden später erreichten sie nach einer weiteren VP die letzte Lifebase. Hier gab es Burger und Pommes. Leeeeecker… Ab jetzt noch 53km und 3400 Höhenmeter. Kurze Schlafpause, die aufgrund des Lärmpegels allerdings nicht sehr erholsam war, dann ging es wieder los. Kurzerhand wurde an der nächsten VP nach einem Linsenpüree nochmal ein kurzer Powernap auf der Bühne eingelegt.

Der letzte Sonnenaufgang, irgendwie auch motivierend, dass das Ende nahte. Der Mond schien wie die komplette Woche hell über ihnen. Er war ein treuer Begleiter.

Es ging wieder Uphill. Mittlerweile haben sie sämtliche Arten an Kühen gesehen. Hübsche und eher Gruselige. Weidezäune konnten sie mittlerweile keine mehr sehen. Zu viele haben sie in der letzten Wochen auf- und zugemacht. Nach unzähligen Höhenmetern hatten sie den höchsten Punkt erreicht. Und siehe da! Auf der anderen Seite der ersehnte Genfer See. Freudentränen kullerten über ihre Wangen. Endlich. Es waren noch 20km. “20km, dann seid ihr Finisher” hieß es an der letzten VP. Dass sie dafür allerdings noch fast fünf Stunden brauchten, hat ihnen keiner erzählt.

Von wegen es geht nur noch im Downhill runter. Mittlerweile kennen die Beiden die Schweizer. Es wird jeder Hügel mitgenommen, jeder Berg wird mindestens noch vier mal umrundet und es kommen auch noch mindestens drei Berge dazu, die auch noch umrundet werden müssen. Der letzte Downhill war steil, rutschig und lang. Fast unten angekommen ging es aber nochmals 600 Höhenmeter Uphill und entlang irgendeiner Schlucht, die gefühlt 30km gehen musste. Sie schlängelten sich nach unten, bis sie endlich in Montreux angekommen waren.

Über 1000 Treppenstufen durch die engen Gassen von Montreux, Serpentine für Serpentine bis zum See. Der Zielbogen am Hafen war in Sichtweite.

Mit einem Sturzbach von Freudentränen überquerten Judith und Simone nach 164:49 Stunden die Ziellinie. Emotionaler konnte ein Zieleinlauf kaum sein. Der Empfang in Montreux, begleitet von jubelnden Menschen, war der emotionale Höhepunkt einer Reise, die ihnen alles abverlangte, aber auch unvergessliche Erlebnisse und Erkenntnisse schenkte.

Klar hätten es die Beiden auch einfacher haben können, denn es hätte noch sechs kürzere Distanzen von 8km bis 100 Meilen gegeben. Wollten sie ja aber nicht.

Zum Abschluss

Solch eine Veranstaltung in diesem Umfang auf die Beine zu stellen, ist auch für den Veranstalter ein Mammutprojekt. Fünfzehn Verpflegungsstationen, sowie fünf Lifebases. Alles musste personell ausreichend besetzt sein; und das für mehrere Tage über 24 Stunden. Dafür bedarf es Hunderte von Leuten. Ganze Schichtpläne wurden erstellt.

Als Läufer hatte man sich aber immer gut betreut gefühlt. Hervorzuheben ist das Kümmern und Organisieren unserer Dropbags, die leider nicht an der besagten Lifebase waren, wo sie hätten sein sollen. Die Auswahl an Essen war toll und abwechslungsreich, das vegane Angebot allerdings ausbaufähig.

Manchmal hätte ein Schild oder Bild vom warmen Essen einiges an Kommunikation gespart, auf beiden Seiten. Ebenso hätte die Beschilderung, gerade an der ein oder anderen Lifebase, stellenweise etwas umfangreicher sein können. Eine Streckenmarkierung war aufgrund des GPX Tracks nicht allzu viel nötig und war ausreichend. Aber das sind Kleinigkeiten, die die tolle Landschaft und die Berge verziehen haben.

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